KEINE GRENZEN

gelesene Auszüge aus der Dokumentation
von Bernadett Ritter

Port 2015
In der aktuellen Port 2015 schrieb Isabella Weigend über meine grafischen Stickarbeiten und den Entstehungsprozess. Das studentische Magazin der Bauhaus-Universität Weimar stellt ausgewählte Arbeiten der Studierenden vor.

Artikel Port 2015:

Es ist lebendig, materiell, was da gefangen wurde und es braucht viel Platz, einen großen Raum, in dem es von allen Seiten gesehen wird. In dem das Licht wandert und es berührt an jeder kleinsten Faser des Garns und des Papiers. Freischwebend sollte es sein wie sein Faden, den die Bütte hält und der nicht an einer Stelle unterbrochen ist. Einhundert Meter, manchmal zweihundert, sind in einem Papier verstickt.

Bernadett benutzt Millimeterpapier, um Raster vorzustechen und zu übertragen. Die winzigen Punkte auf dem 80x110 cm großen handgeschöpften Untergrund verbindet sie dann aufwendig mit Nadel und Faden. Dabei wird ihr Arbeitszimmer zu einer übergroßen Nähmaschine. Mehrere Metallbecher dienen auf beiden Seiten ihres Bildes als Spulen, um die der Faden gewickelt wird. Das Garn liegt in dichten Reihen auf dem hölzernen Boden des Zimmers. Bernadett hat es vorsichtig eingefettet ein Trick, den sie sich von den Buchbindern abgeschaut hat, damit an den winzigen Widerhaken des Fadenstoffes keine Staubpartikel hängen bleiben. Auch den Boden wischt sie vorher jedes Mal. Diese mikroskopisch kleinen Schwebeteilchen passen nicht durch das Papier. Sie sammeln sich zu einem großen Aufstand vor der Öffnung und führen dazu, dass sich der sattschwarze Faden verheddert und einen zeitraubenden Tumult auslöst: »Es kostet mich zwanzig bis fünfundvierzig Minuten einen so entstandenen Knoten zu lösen«, sagt die Studentin der Visuellen Kommunikation. Sie benötigt ohne diese Störung für einen Stich bereits rund fünf Minuten.

Zuweilen piekst sie auch wahllos Punkte in das Papier und beginnt den Faden hindurchzuziehen, ihn über die Seite zu spannen, einzufädeln und wieder hinauszuziehen ohne auf beiden Blattseiten gleichzeitig ein Muster zu verfolgen. So hat sie angefangen. Sie hat sich leiten und überraschen lassen, ist einmal oder mehrmals durch ein Loch im Papier, durch einen Punkt gedrungen und hat Linien erwirkt, die hauchzart auf der glatten Fläche liegen oder dunkler in mehreren Ebenen übereinander schweben. Der Faden besitzt nach vielen Stichen und Lagen nur noch einen Hauch seiner anfänglichen Stärke, aber er ist immer noch in der Lage neue Flächen zu bilden, zu umschließen.

Das Wundersame an Bernadett Ritters Arbeit ist der Formfindungsprozess. Er zeigt sich gleichzeitig als ein mathematischer und zufallsbestimmter. Die Künstlerin orientiert sich nach intensiverer Auseinandersetzung mit dem Thema »Linie zur Fläche« an konstruierten Modellen wie dem hyperbolischen Paraboloid, dem auf der einen Papierseite eine naturwissenschaftliche Gleichung zugrunde liegt, während sich auf der anderen freie Strukturen niederschlagen, die sie mit Hilfe der eigenen Intuition leitet. Die selbstgebauten Rahmen aus zarter Weißbuche oder dunklem Nussbaumholz geben nicht nur eine sofort sichtbare, edle grafische Qualität hinzu, der dadurch zustande kommende Diarahmeneffekt verbindet außerdem beide Blattseiten miteinander und schafft noch einmal neue Flächen und Ebenen. Durch Überschneidungen der Fäden reichen diese in den Raum hinein. Geraden werden dann durch das Spiel von Licht und Schatten plötzlich zu Kurven. Ein Windhauch kann ihnen zusätzlich eine Bewegung verleihen. Die Linie erhält so immer wieder andere Eigenschaften und entdeckt sich selbst neu. Die venezolanische Künstlerin Gego beschreibt mit treffenden Worten, was Bernadett fühlt, wenn sie Linien erschafft. Gego »entdeckte […] den Charme der Linie an und für sich sowohl der Linie, die auf eine Oberfläche gezeichnet wird; genauso wie das Nichts zwischen den Linien und das Funkeln, wenn sie sich kreuzen, wenn sie unterbrochen sind, wenn sie verschiedenfarbig oder verschiedenartig sind«, sie spürte, »dass manchmal das, was zwischen den Linien ist, genauso wichtig ist, wie die Linie selbst«.


Port 1



Port 2



Port 3



Port 4



Port 5



Keine Grenzen
Dokumentation zur Masterarbeit
Bernadett Ritter
Bauhaus-Universität Weimar
Fakultät Gestaltung
Visuelle Kommunikation/Visuelle Kulturen
Sommersemester 2015

Betreuung durch
Prof. Markus Weisbeck,
Michael Ott, Mathias Schmitt

gelesen von
Arzu Müller